Gardinen

Breiter Wasserfall, der, von der Sonne bestrhlen, golden wird

Mari­za hat ein Sti­pen­di­um mit Resi­denz­pflicht bekom­men und wird drei Mona­te in Prag ver­brin­gen. “Du kannst solan­ge in mei­ner Woh­nung woh­nen”, schlägt sie mir vor. “Du kennst ja alles, bis auf – na ja, die neu­en Gar­di­nen. Die muss ich dir noch erklä­ren.” Ich stut­ze. “Du willst mir Gar­di­nen erklä­ren?” Mari­za ist ein biss­chen ver­le­gen. “Mei­ne Schwes­ter hat sie mir geschenkt. Und sie steht halt auf das Inter­net der Din­ge.” “Bei Gar­di­nen?” “Ja, du kannst Uhr­zei­ten ein­ge­ben, wann sie sich öff­nen und schlie­ßen sol­len. Und sie kön­nen spre­chen.” “Was sagen die denn?” “Was du willst.“
Mehr Erklä­rung gibt es nicht. Als Mari­za mir den Schlüs­sel vor­bei bringt, reden wir nur über Prag und das Kunst­pro­jekt, das sie dort machen will und wie sie mit ihren drei Tan­ten zurecht­kom­men wird, die in Prag leben. Aber als ich in die Woh­nung kom­me, liegt auf dem Küchen­tisch das 500 Sei­ten star­ke “Hand­buch für die Benut­zung der Gar­di­ne “Gol­den Bles­sing”” . Ich blät­te­re dar­in, wäh­rend ich einen Espres­so trin­ke. Und ver­ste­he, war­um die Schwes­ter die­se Gar­di­nen geschenkt hat. Die Woh­nung ist sehr ange­nehm, liegt aber im Erd­ge­schoss. Und da es nur einen schma­len Vor­gar­ten gibt, sind die Leu­te, die vor­bei­ge­hen, sehr prä­sent. Autos fah­ren zum Glück nur weni­ge, weil es eine Sack­gas­se ist. Aber Fußgänger*innen kön­nen zur Rosa Luxem­burg Allee durch­ge­hen, sie kom­men oft am Fens­ter vor­bei und gucken auch rein. Da ist es sinn­voll, Gar­di­nen zu haben, die sich strei­fen­wei­se ver­dun­keln las­sen.
Ich blät­te­re wei­ter zum Kapi­tel “Audio-Auf­nah­men” und neh­me ein paar net­te Begrü­ßun­gen auf, die mir dann je nach Tages­zeit zuge­ru­fen wer­den: “Guten Mor­gen, wie geht es dir?” “Mach dir einen net­ten Abend!” “Schlaf schön”. Ich bin ein biss­chen ein­sam, nach dem letz­ten Korb, den ich gekriegt habe, und kann Auf­mun­te­rung gut brau­chen. Auch mit Affir­ma­tio­nen ver­su­che ich es. Ich neh­me ein paar Sät­ze aus dem Buch, das mir Rena­te geschenkt hat, zum Bei­spiel: “Ich emp­fan­ge jetzt die Wohl­ta­ten des groß­zü­gi­gen Uni­ver­sums”. Scha­de, dass das Job­cen­ter schein­bar in einem gei­zi­gen Par­al­lel-Uni­ver­sum ange­sie­delt ist.

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