“Du kannst bei uns im Gartenhaus wohnen”, sagt Elli, als ich aus meiner Wohnung raus muss, “es darf nur nicht auffallen.” Zu dem vierstöckigen Haus, in dem sie mit ihrer WG wohnt, gehört ein großer Garten, der aber kaum genutzt wird. Das Gartenhaus steht ganz hinten, links und rechts von Holunderbüschen gestützt.
Es ist größer als ich gedacht habe: zwei Zimmer hintereinander, möbliert. Im ersten eine Kommode mit einer Kochplatte darauf, im zweiten ein Sofa, das sich ausziehen lässt. An einer Wand hängen Gartengeräte und unter der Decke getrocknete Kräuter, die herunter rieseln, wenn die Tür ein bisschen fester zuschlägt. Unter dem Tisch wohnt ein Rasenmäher. Auf dem Boden entdecke ich Mäuseköttel. Neben dem Fenster steht eine Heiligenstatue mit einem Spaten in der Hand. “Hat wahrscheinlich der Gärtner hier reingestellt”, sagt Elli, als sie meinen Blick sieht, “der hat früher hier gewohnt.“
Es gibt Strom und Wasser aus einem Gartenschlauch, aber keine Toilette. “Kommste einfach zu uns”, meint Elli, “die Leute im Haus können uns sowieso nicht auseinander halten. Es ist sicher nicht erlaubt, hier zu wohnen, deshalb versteckst du dich am besten, wenn jemand kommt. Aber wahrscheinlich kommt niemand. Den Garten macht jetzt eine Firma, und die haben ihre eigenen Geräte.“
Ich nicke zu allem, ich bin froh, dass ich hier unterkommen kann. Wenn ich aufs Klo muss, setze ich eine Baseballkappe verkehrt herum auf und grinse frech, wenn ich jemanden im Treppenhaus treffe. Und nachdem ich festgestellt habe, dass die Heiligenstatue hohl ist, übe ich solange, bis ich blitzschnell in sie hinein schlüpfen kann. Das ist das erste, was mir einfällt, als meine Beraterin im Jobcenter, Frau Fink, mich nach meinen Qualifikationen fragt: Ich kann mich gut verstecken.
Morgens liege ich lange im Bett und schaue den Spinnen beim Netzwerken zu. Ich würde mir gerne ihre Technik aneignen. Etwas Kunstvolles bauen und dann abwarten, wer dran kleben bleibt. Ich höre große Vögel übers Dach tappen, Elstern oder Krähen, die nie an ihre Zukunft denken. “Sie könnten eine Fortbildung machen”, hat Frau Fink mir vorgeschlagen. “Wieso?” Ich will gar nicht fort, ich möchte eher ankommen. “Damit Sie etwas in der Hinterhand haben.” “Welche Hinterhand?” Frau Fink sah mich erschrocken an. “Ich weiß nicht”, meinte sie, “das sagt man so.” “Ich weiß auch nicht, wo die Hinterhand ist”, tröstete ich sie. Frau Fink ist okay. Sie ist Azubi im Jobcenter und wahrscheinlich für die hoffnungslosen Fälle zuständig. “Ich weiß noch nicht so viel”, gestand sie mir bei unserer ersten Begegnung. “Ich hoffe, das stört Sie nicht.” “Nein, das gefällt mir”, versicherte ich ihr. “Ich weiß auch nicht so viel.“
Ich könnte Seminare geben, habe ich Frau Fink vorgeschlagen. Titel hätte ich genug: “Liebevolle Zeitverschwendung”, “Lügen üben”, “Das Fahrrad als Transportschlager”, “Dein Garten, ein blühender Zufall”, oder “Mitleid mit Mozart!” Frau Fink runzelte die Stirn: “Meinen Sie, dass Sie mit solchen Seminaren großen Erfolg haben werden?” “Nein”, antwortete ich ehrlich. Ich glaube sowieso nicht, dass ich mit irgendetwas großen Erfolg haben werde. Und im Grunde genommen möchte ich das auch gar nicht, denn das stelle ich mir ziemlich anstrengend vor.
Ich würde gerne so einen kleinen Erfolg haben, jeden Tag ein paar Minuten würden mir genügen. Manchmal eine Lesung mit langem Applaus. Ein oder zwei Mal die Woche eine, die mir sagt, dass ich etwas Interessantes geschrieben habe, oder dass es so spannend war, dass er bis drei Uhr morgens aufgeblieben ist, um mein Buch zu Ende zu lesen. 100 Follower und genug Geld, um mir ein neues Fahrrad zu kaufen. Das reicht doch.
Abends schiebe ich die Kommode vor die Tür und schalte die Stehlampe am Sofa ein. Auf dem Lampenschirm segnet Jesus einen Blinden, der auf der anderen Seite des Schirms dann wieder sehen kann und vor Freude in die Luft springt. Ein passendes Motiv für einen Lampenschirm.
Jesus hat auch nicht gearbeitet. Er ist durchs Land gezogen und wurde von seinen Followern versorgt. Er konnte allerdings auch Essen vermehren und im Handumdrehen Wein herstellen, sehr praktische Fähigkeiten. Den großen Erfolg hat Jesus nur seinem Vater zu verdanken. Der Preis dafür war Gehorsam, die Rückkehr in die väterlichen Gefilde und Verpflichtung zur Teilnahme an der himmlischen Troika. Dreifaltigkeit, und vorbei war’s mit der Vielfalt, keine Wunder mehr.
Ich ziehe das Sofa aus, leg mein Bettzeug darauf und meine Klamotten in das Regal, neben die Gummistiefel und ein Set mit Schraubenziehern. Als ich das Licht lösche, verschwindet Jesus. Der Mond scheint herein und beleuchtet den Efeu, der durch das Gebälk hindurch ins Zimmer wächst und keinen eigenen Stamm braucht, sondern sich um den Pfosten des Regals windet. Auch eine Methode. An Ideen mangelt es mir nicht. In einer Welt ohne Geld wär ich Millionärin.