Gaza
Gaza liegt auf einem anderen Stern
Und mitten in unserem Herzen
Es gibt keine Menschen dort
Nur Terrorist*innen
Und es gibt nichts
Was man Terrorist*innen
Nicht antun darf
Und diese Taten
Machen aus immer mehr Menschen
Terrorist*innen
Ihnen werden keine Kinder geboren
Sondern Monster
Die sofort gejagt werden müssen
Tagsüber jagen wir sie
Siegesgewiss
Nachts
Jagen sie uns
Über die Trümmer
Unseres Gewissens
Gaza, das ist dieses Kratzen
Das in der Kehle bleibt
Sooft du auch schluckst
Das Schweigen
Das auf deiner Seele lastet
An Gaza führt kein Weg vorbei
Es ist unser aller Vor-Bild
Auf das wir zugehen
Unerbittlich
Schlüssel
Sie hat mir ihre Schlüssel gegeben! Ich versuche, mir mein Entzücken nicht anmerken zu lassen. Während ihrer Erklärungen zum Gießen habe ich das Gefühl, dass ihre Worte nicht nur ihren Blumen, sondern auch mir gelten: “Das Wasser bitte immer handwarm”, oder “Die Pflanzen im Schlafzimmer nicht vergessen.” An das Schlafzimmer denke ich bestimmt.
“Der Frauenfarn braucht besonders viel Wasser.” Ich nicke wissend. Wasser, ein Symbol für Liebe. Beide fließen und sind lebensnotwendig. Und auch nach Wasser muss manchmal gebohrt werden, damit es zum Vorschein kommt. “Für die Orchidee nur weiches Wasser nehmen”, sagt Sonja, und sogleich fühle ich mich der Orchidee verwandt. Sie ist blau und im Blumentopf steckt ein Schild mit ihrem Namen: “Vanda blue magic”. Ob Sonja mir mit diesem Schild eine Botschaft zukommen lassen wollte? Ich habe auf jeden Fall das prickelnde Gefühl, dass ich blue magic bald erleben werde.
“Du musst mit den Fingern überprüfen, ob das Substrat noch feucht ist.” Jetzt werde ich, im Gegensatz zur Orchidee, rot, und täusche Husten vor, damit ich mich abwenden kann. “Na, das wird dir vielleicht alles zu viel”, sagt Sonja und ich fühle mich durchschaut. “Könntest du es mir aufschreiben?” “Ja, das wird das Beste sein.” Ich lächle, und weiß, dass ich dieses Blatt an meinem Herzen aufbewahren werde.
Sie lächelt nicht. Sonja, das klingt nach Sonne und Ja!, aber leider bleibt sie ein ferner kühler Mond, auch als sie sich von mir verabschiedet. Es ist sicher nur Fassade, sage ich mir. Sie ist wahrscheinlich zu schüchtern, um mir ihre wahren Gefühle zu zeigen. Immerhin habe ich jetzt, nachdem ich monatelang um sie herum geschlichen bin, ihre Schlüssel! Zwar nur deshalb, wie sie mir erklärt hat, weil alle ihre Freund*innen auch im Urlaub sind, und ihr niemand anders fürs Blumengießen eingefallen ist. Das klang nicht sehr schmeichelhaft. Aber so eine ungeschickte Formulierung soll unserem Glück nicht im Wege stehen.
Zu Hause befreie ich die zwei Schlüssel von der hässlichen braunen Schnur, mit der sie verbunden waren. Der klobige Haustürschlüssel lässt mich kalt; ich klemme ihn an meinen Schlüsselbund. Aber Sonjas Wohnungsschlüssel! So ein bezauberndes Kleinod mit reizenden Zacken und einem schmalen Köpfchen! Was mache ich mit ihm? Ich würde ihn ja gerne an einem roten Band um den Hals tragen, befürchte aber Nachfragen. Schließlich stecke ich ihn in meine Hosentasche. Dort kann ich immer nach ihm tasten, und ihn manchmal heimlich herausholen und küssen.
Gleich am nächsten Tag mache ich mich auf den Weg. Sonjas Haus, Teil eines 60er Jahre Wohnblocks, liegt von der Straße zurückgesetzt. Ein kleiner Weg führt an zwei anderen Häusern vorbei zum Eingang. Ich bin so aufgeregt. Was, wenn sie mir einen Liebesbrief hinterlassen hat? Und was, wenn sie mir keinen Liebesbrief hinterlassen hat? Die Haustür wirkt auf einmal sperrig. Und Sonja so unerreichbar.
Ich hole den Schlüssel aus meiner Hosentasche, um mir Mut zu machen. Ich muss an mich glauben. Wenn ich mich liebenswert finde, wird Sonja es doch wohl auch tun. Oder? Plötzlich räuspert sich jemand, ein Riese ragt neben mir auf, ich erschrecke, und Sonjas Schlüssel springt aus meiner Hand. Er stürzt — nicht auf den Gitterrost, sondern geradewegs durch eines der Löcher hindurch.
Sofort falle ich auf die Knie. Da liegt er, mein Liebesschlüssel, im Untergrund. “Oh nein”, rufe ich, “oh nein!” Der Gitterrost, ein massives Ungetüm, ist mit acht Schrauben befestigt, die so aussehen, als seien sie seit den 60er Jahren nicht mehr bewegt worden. Verzweifelt schaue ich zu dem Mann hoch, der dieses Desaster ausgelöst hat. Er hält auch einen Schlüssel in der Hand, und ich begreife, dass er hier wohnt und meine Rettung sein könnte.
Rasch stehe ich auf. “Könnten Sie vielleicht — so nett sein und einen Schraubenzieher aus Ihrer Wohnung holen?” Er schüttelt den Kopf. Dann holt er etwas Blaues aus seiner Hosentasche und hält es mir unter die Nase. Barsch erklärt er: “Immer dabei!”. Er lässt sich auf ein Knie nieder, rollt den blauen Stoff aus und erfreut erkenne ich, dass es ein Schraubenzieher Set ist. Mit Händen, die ungefähr doppelt so groß sind wie meine, schraubt der Mann mühelos die rostigen Schrauben heraus. Ich seufze vor Erleichterung. “Danke”, sage ich. Gleichzeitig fühle ich mich ein bisschen unwohl mit ihm. Er hat so etwas Unzugängliches.
Nachdem er die letzte Schraube raus gedreht hat, greift er lässig mit einer Hand in das Gitter hinein und hebt es hoch. Ich schnappe mir den Schlüssel und stecke ihn sofort ein. Jetzt kann doch noch alles gut werden. “Vielen, vielen Dank”, sage ich. Er gibt einen zufriedenen Laut von sich, und legt das Gitter zurück an seinen Platz. Da passiert etwas in seinem Gesicht, ein Anflug von Unsicherheit, der in Ärger umschlägt.
“Scheiße”, murmelt er, und dann lauter: “So eine Scheiße!” Es dauert eine Sekunde, bis ich begreife, dass er mit seinen Fingern im Gitter feststeckt. Er schaut mich vorwurfsvoll an, ich weiche zurück. Ich möchte eigentlich nicht so viel mit ihm zu tun haben, aber ich kann ihn ja nicht hier stecken lassen. Ich rate ihm: “Versuchen Sie doch mal ganz ruhig …”
„Schlüssel“ weiterlesenAuf der Suche nach Wegen … Jenseits vom binären “Backe hinhalten oder Ohrfeigen austeilen”
“Ich gründe jetzt eine Gesprächsgruppe!”, sage ich zu Fiona: “Zusammenkommen, innehalten und alle Toten betrauern, gemeinsame Perspektiven finden.” “Das wird schwierig”, meint sie. Wahrscheinlich hat sie recht. Aber warum sind auf einmal alle im Krieg?
Irgendwie müssen wir doch darüber reden können, oder? Natürlich, einfach ist es nicht. Was weiß ich schon darüber? Habe ich auch alle wesentlichen Informationen? Mit welchen Reaktionen muss ich rechnen? Ich habe Angst, etwas Falsches zu sagen. Aber das Schweigen ist so bedrückend, für alle. Wie soll dieses Blutvergießen jemals enden?
“So darfst du nicht denken”, sagt Lisa. “Du musst dich entscheiden, Israel oder Hamas. Wer will so eine terroristische islamistische Gruppe unterstützen? Die würden dich auch umbringen, also ist die Sache doch klar!” Hm. Die israelische Regierung möchte ich auch nicht unterstützen. Ich habe den Eindruck, dass Menschenleben keinen großen Wert für sie haben, weder die palästinensischen noch die der Geiseln.
“Es gibt keinen Raum für die schrecklichen Ereignisse des 7. Oktober”, sagt Lena, “mir fehlt die Empathie.” Ich stimme ihr zu. Es ist traurig, wenn dazu geschwiegen wird. Wie können wir Solidarität mit jüdischen Menschen zeigen? In welchen Aussagen und Haltungen versteckt sich Antisemitismus?
“Ich finde es schwierig”, sagt Luis, “wenn Solidarität mit Israel gleichgesetzt wird damit, das Töten und Hungern lassen von Palästinenser*innen gutzuheißen.” Das verstehe ich. Ich möchte Empathie für die so heftig getroffene israelische Gesellschaft zeigen können ohne dass das als Unterstützung für diesen Krieg gewertet wird. Empathie ja, Krieg nein: Wie kann ich das hinkriegen, auseinanderhalten? Bin ich doch parteiisch, obwohl ich für beide Seiten sein möchte?
“Du bist ja nicht betroffen”, sagt Luise, “sonst würdest du anders reden!” “Das kann sein”, gebe ich zu. Vielleicht hätte ich auch schlimmste Rachefantasien, wenn meinen Liebsten etwas angetan werden würde. Aber ich würde mir, zumindest von meinem jetzigen Wertesystem ausgehend, wünschen, dass mich dann jemand stoppt, wenn ich mit dem Messer losziehe und es mich nach Blut gelüstet. Und gerade von meinen Freund*innen würde ich mir das wünschen. Dass sie mich zur Besinnung bringen. Mir nahebringen, dass mein Schmerz nicht versiegen wird, wenn noch jemand stirbt. Dass ich dadurch auch nicht sicherer oder besser leben werde, im Gegenteil. Und dass ich es hinterher bereuen werde, jemanden umgebracht zu haben, selbst wenn es straflos bleibt.
Das lässt Luise nicht gelten. “Es geht ja nicht um einen einmaligen Angriff! Die Hamas hört einfach nicht auf, Raketen zu schießen. Die müssen gestoppt und aufgelöst werden.” Ganz offensichtlich funktioniert das mit der jetzigen Strategie nicht. Also muss eine andere Lösung her.
“Deutschland hat eine besondere Verantwortung für Israel”, sagt mein Onkel Lars. Ja, auf jeden Fall. Und es hat eine besondere Verantwortung für die Palästinenser*innen.
Delikatöse Bedrohung
Du dachtest immer, dass es plötzlich passiert: alle Lampen gehen gleichzeitig aus, weil jemand über Nacht die Macht an sich gerissen und jetzt das Sagen hat. Willkürliche Verbote, keine Meinungsfreiheit mehr, Gefängnisse füllen sich mit Unschuldigen. Aber, kein Grund zur Sorge oder gar Vorsorge: so etwas passiert nur in Ländern, die vorher auch schon suspekt waren, und nicht bei uns.
Denn wir haben Delikatesse! Das ist nicht nur das bessere, sondern das beste. Delikatesse gibt es nur in Europa, oder in Ländern, die Europäer*innen besiedelt haben. Die Delikatesse ist sogar in Europa geboren, deshalb stolzieren wir. Auch wenn schon von Anfang an nicht alle einen Löffel in die Hand bekommen haben, und das bis heute so geblieben ist, gilt die Delikatesse bei den Privilegierten als Musterbeispiel der Gleichberechtigung und gut gefeit gegen alles Ungenießbare.
Aber was, wenn es nicht so plötzlich kommt? Wenn die Lampen nach und nach ausgehen, und sich etwas einschleicht, hier und da, und schon längst nicht mehr schleicht, sondern stampft? Und du dich fragst, wann und wie ist das denn passiert?
Seit Jahren gewöhnen wir uns daran, dass an unseren Tellerrändern massenhaft Menschen sterben. Denn nicht alle sollen mitessen. Mitten in der Delikatesse keimen neue Delikte: Menschen retten kann jetzt bestraft werden. Dann nämlich, wenn es die falschen Menschen sind. Mitesser.
Wer an einem See steht und zusieht, wie jemand ertrinkt, wird verurteilt wegen unterlassener Hilfeleistung. Am Mittelmeer ist es umgekehrt. Bei Menschenrettung drohen 100 Jahre Haft und mehr. Denn Leute, die wir nicht wollen, haben ihr Recht auf Leben verwirkt. Niemand soll verhindern, wenn sie untergehen. Mit ihnen versinken die Werte des Abendlandes.
100 Milliarden für Militär und die Rüstungsindustrie: eine Entscheidung des Kaisers. Aufrüstung ist wieder angesagt. Bei der medizinischen Versorgung wird gespart, weil es auch so irgendwie funktioniert. Du musst dir eine Krankheit schon leisten können. Gesundheit ist das größte Gutdünken.
Korinna
Meine Adoptivtante*, Korinna Rahls Frisius, Schauspielerin, Sängerin und älteste Dirigentin** Deutschlands, ist im Januar mit 91 Jahren gestorben
* beidseitige Adoption nach Paragraph 33 % Simulatio ben trovato
** siehe den Film “Dirigentin” von Anne Frisius, https://cooperativa-film.de/persoenliches-queeres-und-filmpoesie/
Ein roter Haarschopf wie ein wildes Pferd, und von Flausen zerzaust leuchteten die fliegenden Teppiche deiner täglichen Gedichte, samt und sonders unbotmäßig. Voller Neugier auf das, was hinter den Konventionen wohnt, warst du vielbewundert, wenn auch oft nur heimlich, für deine herzlich unbekümmerten Tabubrüche.
Kunst war dir so selbstverständlich wie Wasser, und im Güterverkehr des Theater- und Filmbetriebs gerietst du nicht von ungefähr aufs Abstellgleis. Oft genug wurde dir das Rampenlicht ausgedreht und im Dunkeln musstest du deine Kreise drehen, und deinen eigenen Ausgang finden, ein unbeirrtes Weiterstreben.
Deine Reden, stets daneben, bis sie den Punkt trafen. Du hast im Alltag das All gesehen, und die Alchemie genutzt; deine Vokabeln waren immer überraschend verkabelt. Du kamst vom Hundertsten zum Untergang des Überblicks, als Seglerin, die nie hielt, was der Fahrplan versprach, er versprach sich eben, und das Sprechen war dir ein Sternenhimmel, es blinkte hier und dort und überall fandest du ein Wort und einen Reim darauf überraschend wie Urknall-Elektronenschwärme.
Und mit 60? Dirigentin! Du hast Karlsruhe nicht in Ruhe gelassen, sondern 27 Jahre lang mit deinem Orchester belebt. Wieder warst du blamabel, eine Blamage für alle, die wussten, dass sich so etwas nicht gehört, aber deine Auftritte haben alle in den Schatten gestellt.
Du bist nie auf dem Teppich geblieben. Bis zuletzt hast du gesungen und gedichtet, und das Wiesel durch den Lattenzaun schlüpfen lassen. Du hast dich nicht abhalten lassen, und weiter dirigiert nach deinem Gehör fürs Unerhörte, und bleibst mir darin die nächste Verwandte.
Photonachweis Jasemin Alt, Anne Frisius