Frühmorgens, auf dem Weg zur Arbeit, gehe ich durch eine menschenleere Straße, als ich auf einmal hinter mir ein ungewohntes Klacken höre. Ich drehe mich um und da stakst, wie ein breiter flacher Hund, mein Bett. Ich bin entsetzt, es hier auf der Straße zu sehen, noch dazu in diesem Zustand. Ich habe es heute morgen nicht gemacht und jetzt ist es mir peinlich, dass es mit dieser zerwühlten Bettdecke herumläuft.
“Was willst du hier”, zische ich, “geh nach Hause!” Stur kommt es immer weiter auf mich zu getrottet, unbeholfen, weil es Schwierigkeiten damit hat, die vier Beine zu koordinieren. Es schwankt von einer Seite zur anderen, manchmal hebt es auch drei Beine auf einmal und das vierte, auf dem dann alles lastet, knarrt bedenklich.
“Lass den Blödsinn! Du siehst doch, dass du nicht weit damit kommst!” Das Bett hört nicht auf mich, womöglich ist es auch gar nicht hörfähig. Ich mache abwehrende Gesten, ohne dass das die gewünschte Wirkung zeigen würde. Unbeirrt probiert das Bett weitere Gangarten aus und kommt dabei immer näher auf mich zu.
Ich habe dieses Bett vor ein paar Monaten gekauft, als ich Arbeit in einem Büro bekommen habe und dachte, zu einem gehobenen Lebensstandard würde auch gehören, die Matratze statt auf den Boden auf ein Gestell zu legen. Ich wusste ja nicht, was ich mir damit einbrocke. Im Geschäft sah es aus wie ein ganz normales Bett. Es war allerdings stark reduziert. Ich habe nicht nach dem Grund gefragt, was ich jetzt bereue. Eigentlich müsste noch Garantie drauf sein. Nur kann ich diese wahrscheinlich nicht beanspruchen, wenn das Bett im Gulli hängen bleibt und sich dabei ein Bein bricht.
Ich muss jetzt zur Arbeit. Ich habe keine Zeit für Eskapaden. Soll das Bett doch im Straßengraben enden, wenn es unbedingt auf solchen Verrücktheiten besteht. Ich eile weiter. Bevor ich abbiege, drehe ich mich noch einmal um und sehe, dass mein Bett zwischen der Hauswand und einer Straßenlaterne stecken geblieben ist. Okay, dann werde ich es heute Abend dort abholen. Ich hoffe, ich muss keine Gebühren fürs Falschparken bezahlen.
Ich beschließe, mit der Straßenbahn zur Arbeit zu fahren. Es ist nicht weit, nur ein paar Stationen, aber ich bin schon wieder so spät dran. Jeden Tag will ich zu Fuß zur Arbeit gehen und schaffe es dann nicht. Es ist nicht nur das grauenhaft frühe Aufstehen, das mich schwächt, sondern auch der Gedanke an das stundenlange Sitzen in einem Büro, das immer nach altem Senf riecht, egal wie lange ich lüfte. Und diese Akten, ein Blätterteig, es bedrückt mich immer, darin zu lesen. Das Schlimmste ist aber, dass die Kolleginnen, die alle schon jahrelang dort arbeiten, so zufrieden sind. Sie sind eingerastet wie Puzzleteilchen, und haben kein weiteres Bestreben, als genau an der Stelle zu bleiben.
Es ist ein grauer Tag, feuchtkalt, an der Straßenbahnhaltestelle haben alle Leute missmutige Gesichter. Ich wahrscheinlich auch. Die Bahn kommt, alle machen sich zum Einstieg bereit. Autos hupen, Bremsen quietschen, und ich sehe mein Bett in flottem Trab bei Rot über die Ampel laufen. Es hat sich offensichtlich befreien können und auch Fortschritte beim Gehen gemacht. Trotzdem wird es mich nicht mehr einholen können, denn ich bin schon in der Straßenbahn.
Ein donnerndes Geräusch lässt mich umdrehen. Das Bett galoppiert! Die Bettdecke schwankt beträchtlich und meine Wärmflasche rutscht heraus und klatscht auf die Straße. Die Wärmflasche, die Rosi mir zum Geburtstag geschenkt hat, mit einem selbst gefilzten Überzug in Regenbogenfarben. Rosi wohnt ganz in der Nähe. Was wird sie von mir denken, wenn sie ihr liebevolles Geschenk auf der Straße liegen sieht, womöglich von einem Auto zerquetscht.
Ich springe aus der Bahn, sprinte zu meiner Wärmflasche und drücke sie an mich. Wieder quietschen Bremsen, und das Bett stoppt in vollem Lauf, dreht sich auf einem Bein, kommt auf mich zu und drückt sich an mich. “Du musst doch aufpassen”, sage ich vorwurfsvoll, “dass du unterwegs nichts verlierst.” Das alles findet mitten auf der Kreuzung statt, die Leute starren mich an, ich fühle mich wie eine erfolglose Möbel-Dompteurin. Ein Autofahrer beschimpft mich: “Verschwinden Sie hier mit ihren Vollpfosten!” Die Fußgängerampel springt auf Grün. Ich überquere mit meinem Bett die Straße und biege in eine Gasse ein. Zum Glück folgt uns niemand, um diese Uhrzeit haben es alle eilig.
Erschöpft setze ich mich auf’s Bett. Ich drücke die Matratze glatt, die sich vom Galopp in Wellen geschoben hat, und stecke die Bettdecke fest, damit sie nicht runter fallen kann, falls es noch einmal zu einer schnelleren Gangart kommen sollte. Das Kissen hat sich im Bettaufsatz am Kopfende verfangen und damit festgeklemmt. Als ich diesen Aufsatz sehe, in den drei Sterne eingestanzt sind, kommt mir eine Idee.
“Es geht nicht anders”, sage ich zum Bett. Ich kann es nicht lassen, mit ihm zu sprechen, obwohl es mir selbst lächerlich vorkommt. “Ich muss diese Arbeit behalten”, erkläre ich ihm, “ich will nicht schon wieder ins Jobcenter.” Ich führe es zu einer Reihe von Fahrradständern. Dann hole ich meinen Gürtel aus der Hose, ziehe ihn durch einen Stern und zwischen zwei Metallstangen hindurch und schließe die Schnalle.
Das Bett lässt es geduldig geschehen, aber als ich mich wieder auf den Weg zur Straßenbahn mache, zieht und zerrt es am Gürtel und springt mit allen vier Beinen in die Luft. Es kommt mir sogar so vor, als ob es wimmern würde. Mit den Worten: “Ich hole dich heute Abend wieder ab, versprochen!”, verlasse ich es.
Die Straßenbahn fährt mir vor der Nase davon. Jetzt werde ich sicher zu spät zur Arbeit kommen. Ich überlege, was ich gestern als Entschuldigung gesagt habe, um mich nicht zu wiederholen. Verrückte Welt, dass man sich dauernd Lügen ausdenken muss, weil einem die Wahrheit niemand glaubt!
Als ich so an der Haltestelle stehe und versuche, nicht an mein Bett zu denken, denke ich stattdessen ununterbrochen daran. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich es so schlecht behandle. Es hat mir doch nichts getan. Im Gegenteil, es hat mir viele schöne Stunden beschert und jetzt muss es in der Kälte stehen, angebunden wie ein ausgesetzter Hund. Was weiß so ein Bett schon von Arbeit, Pflicht und Gefügigkeit, die im Leben so eine große Rolle spielen! Vielleicht hat es sich einsam gefühlt, den ganzen Tag alleine zu Hause, oder es wollte mir im Büro zur Seite stehen.
Diese Vorstellung, dass ich auch im Büro ein Bett hätte, in das ich mich während der Mittagspause kuscheln könnte, macht mir ein wohliges Gefühl und lässt mich sogar lächeln, bis zu dem Moment, als zwei Dinge gleichzeitig passieren. Die Straßenbahn taucht auf und hinter den Wertstoffcontainern springt mein Bett hervor. Es hat sich offenbar angeschlichen und steht jetzt, zum Einstieg bereit, neben mir an der Haltestelle.
Mir bricht der Schweiß aus. “Das war doch nur so eine Idee”, zische ich dem Bett zu. “Nie und nimmer lässt mein Chef dich ins Büro! Geh nach Hause!” Das Bett steht ungerührt, aber die anderen Leute an der Haltestelle mustern mich und rücken von mir ab. Zwei stecken die Köpfe zusammen und beginnen zu tuscheln. Zum Glück ist keine von meinen Kolleg*innen dabei. Die sitzen sicher schon alle im Büro und tratschen, womöglich über mich.
Die Straßenbahn hält, die Türen öffnen sich, ich springe hinein. Mit Erleichterung stelle ich fest, dass der Eingang zu schmal für mein Bett ist. Es hat ein Bein auf das Trittbrett gesetzt, kommt aber nicht weiter. “Du siehst doch, dass es nicht geht”, flüstere ich ihm zu, in der Hoffnung, dass es von seinem Vorhaben ablässt. Es bleibt stur. Ich bücke mich, um es nach draußen zu schieben. Das war ein Fehler, denn jetzt packen von außen zwei Leute an, stellen das Bett schräg und schieben es in die Straßenbahn. Auch in der Bahn finden sich eifrige Menschen, die nicht ruhen, bis mein Bett schließlich auf sechs Sitzen thront.
Ich tue so, als hätte ich nichts damit zu tun, und bereite mich darauf vor, bei der nächsten Haltestelle raus zu springen und auf diese Weise meinem Bett zu entkommen. Die Türen schließen sich, die Straßenbahn fährt los und neben mir sagt ein unscheinbarer Mann: “Fahrscheinkontrolle.” Ich zücke meine Monatskarte. “Und das Bett?”, fragt er. “Das ist … da kann ich nichts dafür … das ist mir nachgelaufen.” “Schon klar”, sagt der Kontrolleur. Die Leute drehen sich nach mir um, grinsen und sind gespannt, wie es jetzt weitergeht. Und ich muss mir schon wieder eine Lüge ausdenken. “Na ja, es ist … ich muss zum Schlaflabor, und sie haben gesagt, man könnte sein eigenes Bett mitbringen.” Der Kontrolleur stemmt die Arme in die Seiten: “Warum Sie Ihr Bett in der Straßenbahn dabei haben, interessiert mich nicht. Ich möchte nur wissen, ob Sie einen Sperrgut-Fahrschein für überdimensionale Gepäckstücke dafür haben.”
“Den wollte ich soeben bei Ihnen erwerben.” “Bei mir können Sie nur einen Bescheid wegen Beförderungserschleichung erwerben. Kostet 360 Euro.” “Warum so viel?” “60 Euro mal sechs Sitzplätze.” Scheiße, das ruiniert mich. “Es sind nur fünf!”, rufe ich und klettere blitzschnell ins Bett hinein. “Okay“, sagt der Kontrolleur großzügig und reicht mir seinen Abrechnungsapparat, in den ich meine EC Karte stecke.
Er erkundigt sich noch, wo ich aussteigen möchte. Ich gebe ihm Auskunft, dann verkrieche ich mich unter meiner Bettdecke, um bei der teuersten Straßenbahnfahrt meines Lebens nicht auch noch angestarrt zu werden. Ich bin auf einmal sehr müde und es kommt mir entgegen, dass ich mich ins Bett sinken lassen kann.
Dabei muss ich wohl eingenickt sein, denn das nächste, was ich mitbekomme, ist, dass ich mitsamt dem Bett hoch gehoben, und in Schräglage aus der Tür geschoben und abgesetzt werde. “Danke”, sage ich und will aufstehen, aber das Bett läuft los, Richtung Büro. Erst als mir klar wird, dass ich dieser Situation nicht entkomme, ohne mich einer beträchtlichen Verletzungsgefahr auszusetzen, gerate ich in Panik. Mir wird knallheiß, ich reiße mir Jacke und Mütze vom Leib, und das Büro kommt in Sichtweite.
Es liegt, ein bisschen zurückgesetzt von der Straße, an einer Auffahrt im Erdgeschoss. Vor der Tür steht Frau Kranz und raucht. Ich habe erst vor kurzem mitbekommen, dass die Kolleginnen morgens abwechselnd nach mir Ausschau halten und Bescheid sagen, wenn ich ankomme. Dann lauschen sie an den Türen ihrer Büros, um zu erfahren, welche Entschuldigung ich diesmal für mein Zuspätkommen vorbringe.
Bei meinem Anblick schmeißt Frau Kranz die Zigarette hin und rennt rein. Ich höre ihre aufgeregte Stimme. Kurze Zeit später strömen alle aus der Tür. Ich bin noch zwanzig Meter entfernt, das Bett geht auf einmal ganz langsam, fast vornehm, jetzt könnte ich raus springen und fliehen, aber eine große Schwäche befällt mich beim Anblick der Kolleginnen, die mich anstarren. Jetzt kommt auch der Chef dazu. Er ringt um Luft und hat eine ungesunde rotviolette Gesichtsfarbe. Normalerweise tut er sich nicht schwer damit, seine Missbilligung auszudrücken, aber jetzt dauert es eine Weile, bis er losschreit.
“Was fällt Ihnen ein, so zur Arbeit zu kommen?” Leider fällt mir nichts ein, das Denken ist mir komplett abhanden gekommen. “Es tut mir Leid”, rufe ich verzweifelt, wobei mir auffällt, dass das meistens die ersten Worte sind, die ich zu meinem Chef sage. Aber es tut mir wirklich unendlich Leid, dass ich mich meinem Chef in meinem Bett nähere, in eine zerwühlte Bettdecke gehüllt, und nichts zu meiner Verteidigung vorbringen kann. Mir wird noch heißer, mein Gesicht juckt unerträglich und ich weiß, dass ich jetzt wieder diese hässlichen rote Flecken habe, die immer in unerfreulichen Situationen auf meiner Haut erscheinen.
Und da springt, quasi in letzter Minute, doch noch mein Ausreden-Generator an. Als mein Bett auf dem Gehweg vor dem Büro, anhält, zeige ich meine Arme vor und erkläre: “Leider habe ich über Nacht eine schreckliche Fleckenkrankheit bekommen, die wahrscheinlich ansteckend ist, und mein Handy ist kaputt, also habe ich gedacht, ich komme persönlich vorbei, um Bescheid zu sagen, dass ich leider nicht arbeitsfähig bin.“
Mein Chef vergräbt sein Gesicht in den Händen und schüttelt den Kopf. Dann schaut er mich wieder an und sagt schwach, als hätte ich ihm alle Energie entzogen: “Das wäre wirklich nicht nötig gewesen.” Er schüttelt immer weiter den Kopf. Plötzlich poltert er los: “Verschwinden Sie!” “Wie Sie möchten”, sage ich gehorsam, und wirklich setzt sich das Bett schon in Bewegung. “Und das nächste Mal bitten Sie Ihre Nachbarn, anzurufen! Dass Sie mir nicht noch einmal in so einem Zustand hier auftauchen!” “Nie wieder”, verspreche ich. Dann strecke ich mich aus und schließe die Augen, während mein Bett mich an diesem grauen, kalten Tag warm und sicher nach Hause bringt.