Korinna

Korinna mit roten Haaren

Mei­ne Adop­tiv­tan­te*, Korin­na Rahls Fri­si­us, Schau­spie­le­rin, Sän­ge­rin und ältes­te Diri­gen­tin** Deutsch­lands, ist im Janu­ar mit 91 Jah­ren gestorben

* beid­sei­ti­ge Adop­ti­on nach Para­graph 33 % Simu­la­tio ben trovato

** sie­he den Film “Diri­gen­tin” von Anne Fri­si­us, https://​coope​ra​ti​va​-film​.de/​p​e​r​s​o​e​n​l​i​c​h​e​s​-​q​u​e​e​r​e​s​-​u​n​d​-​f​i​l​m​p​o​e​s​ie/

Ein roter Haar­schopf wie ein wil­des Pferd, und von Flau­sen zer­zaust leuch­te­ten die flie­gen­den Tep­pi­che dei­ner täg­li­chen Gedich­te, samt und son­ders unbot­mä­ßig. Vol­ler Neu­gier auf das, was hin­ter den Kon­ven­tio­nen wohnt, warst du viel­be­wun­dert, wenn auch oft nur heim­lich, für dei­ne herz­lich unbe­küm­mer­ten Tabubrüche.

Kunst war dir so selbst­ver­ständ­lich wie Was­ser, und im Güter­ver­kehr des Thea­ter- und Film­be­triebs gerietst du nicht von unge­fähr aufs Abstell­gleis. Oft genug wur­de dir das Ram­pen­licht aus­ge­dreht und im Dun­keln muss­test du dei­ne Krei­se dre­hen, und dei­nen eige­nen Aus­gang fin­den, ein unbe­irr­tes Weiterstreben.

Dei­ne Reden, stets dane­ben, bis sie den Punkt tra­fen. Du hast im All­tag das All gese­hen, und die Alche­mie genutzt; dei­ne Voka­beln waren immer über­ra­schend ver­ka­belt. Du kamst vom Hun­derts­ten zum Unter­gang des Über­blicks, als Seg­le­rin, die nie hielt, was der Fahr­plan ver­sprach, er ver­sprach sich eben, und das Spre­chen war dir ein Ster­nen­him­mel, es blink­te hier und dort und über­all fan­dest du ein Wort und einen Reim dar­auf über­ra­schend wie Urknall-Elektronenschwärme.

Und mit 60? Diri­gen­tin! Du hast Karls­ru­he nicht in Ruhe gelas­sen, son­dern 27 Jah­re lang mit dei­nem Orches­ter belebt. Wie­der warst du bla­ma­bel, eine Bla­ma­ge für alle, die wuss­ten, dass sich so etwas nicht gehört, aber dei­ne Auf­trit­te haben alle in den Schat­ten gestellt.

Korinna dirigiert das Neue Karlsruher Orchester, Auftritt 2019

Du bist nie auf dem Tep­pich geblie­ben. Bis zuletzt hast du gesun­gen und gedich­tet, und das Wie­sel durch den Lat­ten­zaun schlüp­fen las­sen. Du hast dich nicht abhal­ten las­sen, und wei­ter diri­giert nach dei­nem Gehör fürs Uner­hör­te, und bleibst mir dar­in die nächs­te Verwandte.

Pho­to­nach­weis Jase­min Alt, Anne Frisius

Hosen kaufen mit Rosetta

Wiese mit Rosen und bunten Hosen darauf

Heu­te kommt Roset­ta. Mei­ne Roset­ta. ROSE und Tee Tee Ah!
Ich darf drei Kan­nen Tee am Tag, mor­gens, nach­mit­tags, abends. Tee ist toll. Schwar­zer Tee, Milch, viel Milch, Zucker, Zucker, noch­mal Zucker. Ich lie­be Tee. Ich lie­be Roset­ta.
Die Tür geht auf! Roset­ta kommt. Ich lau­fe, win­ke, sie winkt zurück, geht ins Büro. Immer geht sie ins Büro. Sie stellt ihren Ruck­sack auf den Boden, hängt ihre Jacke an den Haken. Eine blaue Jacke hat sie. Ich zie­he sie ger­ne an. “Nein, Matil­da”, sagt Roset­ta und zieht mir die Jacke wie­der aus.
Ich war­te vorm Büro. Roset­ta fragt Peter: “Was war heu­te los?”
“Hel­ga war sehr unru­hig mor­gens, sie haben ihr Trop­fen gege­ben. Der Haus­meis­ter hat geflucht, als er das Klo ent­stopft hat. Da war ein Nagel­knip­ser drin, und die Zahn­span­ge von Robert.”
“Oh nein. Da ist sie also gelan­det.”
“Ach­so, und die Bril­le von Maria ist ver­bo­gen. Da muss gleich jemand mit ihr zum Opti­ker, so kann sie die nicht mehr auf­set­zen und ich glau­be, ohne Bril­le sieht sie nicht mal mehr ihre Kaf­fee­tas­se.“
Bril­le. Maria. Die Bril­le von Maria hat zwei dicke Schei­ben Glas, ganz glatt. Aber ich soll sie nicht strei­cheln. Ich hab eine Ket­te mit gro­ßen Glä­sern, strei­chel­glatt. Ich kann mei­ne Ket­te Roset­ta zei­gen!
Ich gehe zu mei­nem Allei­ne-Zim­mer. Der Schlüs­sel dreht sich im Schlüs­sel­loch, er sagt: “Auf, auf”. Frü­her war mein Zim­mer grö­ßer und wir hat­ten alle unse­re Bet­ten dar­in. Es gab kei­nen Schlüs­sel. Und kei­nen Tee, nur Kaf­fee. Wenn ich Tee woll­te, wenn ich irgend­et­was woll­te, wur­de ich aufs Bett gebun­den, an Hän­den und Füßen. Manch­mal lag einer auf mir drauf, ganz schwer und mit Stö­ßen, so weh, es hat vie­le Schmer­zen gemacht, ver­dammt.
Der Schrank hat auch weh getan, als er kaputt ging. Wie ich wütend war, weil mein Geburts­tag nicht kam. Immer hieß es: noch nicht! Und ich dach­te: jetzt muss doch mal Geburts­tag sein! Ich war­te schon so lan­ge. Und da hab ich auf den Schrank drauf­ge­hau­en. Der Schrank war schwach; er war nur Knä­cke­brot, aber dann hat­te er Mes­ser und ich hab geblu­tet und es tat weh. Blut tut immer weh. Und nie­mand hat mich getrös­tet, alle sind weit weg geblie­ben.
Jetzt habe ich einen neu­en Schrank. An der Sei­te hän­gen mei­ne Ket­ten und ich neh­me die mit den Strei­chel-Glä­sern. “Zu, zu”, sagt der Schlüs­sel. Ich lau­fe mit der Ket­te zu Roset­ta.
Roset­ta? Wo ist Roset­ta?
“Sie ist mit Maria zum Bril­le repa­rie­ren gefah­ren.“
Immer fährt sie mit ande­ren weg. Das soll sie nicht! Da steht der Kur­ze. Ich haue ihm auf den Kopf. Er rührt sich nicht, schaut nur blöd. Ich haue fes­ter. Da geht er.
Ich woh­ne in einem Wohn­heim für Beklopp­te. Roset­ta sagt, es heißt nicht so, aber wenn Hel­ga, Heinz und ich mor­gens im Hof auf den blau­en Bus war­ten, schrei­en die Jungs hin­term Zaun: “Da sind wie­der die Beklopp­ten.” Wir sind 14 Beklopp­te, und wir haben immer Besuch. Wenn die einen gehen, kom­men die ande­ren.
Ich war­te immer auf Roset­ta. Ich darf sie nicht besu­chen. Sie ist nicht mei­ne Freun­din, sagt sie, sie ist mei­ne Betreue­rin. Sie ist mir treu. Ich möch­te mei­nen Kopf an ihre Brust legen, ins Wei­che. Ich möch­te sie küs­sen. Ich möch­te Roset­ta mit ins Bett neh­men. Ich möch­te mit ihr Hosen kaufen.

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